Alles ist im Fluss, sagt Heraklit. Alles verändert sich, von Zeit zu Zeit sogar Lehrpläne, auch wenn es schwer zu glauben ist. Waren bis vor hundert Jahren fantastische, da logik- und konzentrationsfördernde sowie themen-verbindende Fächer wie Latein und Griechisch noch zementierter Teil des gymnasialen Curriculums, müssen sie heute mit den modernen Fremdsprachen um Schüler konkurrieren – mit durchwachsenen Ergebnissen. (Entschuldigung, aber auch diese Kolumne kommt nicht ohne die eine oder andere Produktplatzierung aus.)

Was sich jedoch niemals ändern wird,  dessen bin ich mir sicher, ist das gemeinschaftliche Aufstöhnen längst der Schule entwachsener Personengruppen über die läppischen Inhalte des heutigen Unterrichts, um sich gleichzeitig gegenseitig schulterklopfend zu versichern, dass der Stoff, den man damals gemeinsam gemeistert hat, wesentlich anspruchsvoller gewesen sei, noch dazu mit wesentlich schlechteren Hilfsmitteln, Methoden, Materialien etc. Was der Nachkriegsgeneration noch das tief seufzende „Wir hatten damals ja nichts und dann war auch noch Winter!“, ist ihren Nachfolgern heute das stolze „Was wir damals alles noch mussten, das würde heute kein Schüler mehr hinkriegen!“

Kostprobe gefällig? Benutzung von Logarithmentafeln, Auswendiglernen ganzer Schillergedichte, Geschichtsdatenlotto zu Stundenbeginn (mit Aufstehen!) – all das ruht größtenteils im Museum der Pädagogik.

Ist also alles zu einfach geworden in der Schule? Mitnichten! Es gilt die Grundregel: Jeder Entlastung im Lernprozess folgt eine zusätzliche, neue Belastung. Oder: Sind meine Muskeln plötzlich kräftiger, bekomme ich einen Sack mehr zu tragen.

Beispiel Grafiktaschenrechner: Waren diese fast unerschwinglichen Geräte vor 15 Jahren noch den Mathe-Leistungskurslern vorbehalten, bekommt sie heute jeder Oberstufenschüler.

Es muss nun nicht mehr endlos Zeit im Unterricht aufgewendet werden , um Graphen zu zeichnen und Nullstellenzu bestimmen – die gewonnene Zeit wird aber nicht „verchillt“, sondern sinnvoll reinvestiert, zum Beispiel in analytische Fallunterscheidungen, die „früher“ noch das halbe Schuljahr gedauert hätten.

Beispiel Biografie: Bekam man als Schüler früher zwei DIN-A4-Seiten aus einem Buch kopiert in die Hand gedrückt, mit der Bitte, man möge daraus eine Zusammenfassung schreiben, stehen heute die endlosen Weiten des Internets zur Verfügung – und der Schüler muss die Entscheidung über Wichtiges und Unwichtiges selbst treffen.

Vermutlich aber werden auch die jetzigen Absolventen in einigen Jahrzehnten zurückblicken, sich gegenseitig auf die Schulter klopfen und lächelnd sagen: „Was wir damals alles noch mussten, das würde heute kein Schüler mehr hinkriegen!“