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Wenn sich morgen die Schultore wieder öffnen, betritt die bestvernetzte Generation junger Bleistiftschwinger die analogen Hallen der Weisheit, die je gelebt hat. Mühelos bespielt sie tagtäglich die sozialen Medien, sendet parallel auf verschiedenen Kanälen, kommentiert, likt, uploadet und teilt, was das digitale Zeug hält. Ihre Response Time ist schneller als in einem 1-zu-1-Gespräch in „Real Life“, sie schwafelt nicht, sondern hält die abzusendenden Nachrichten-Bits knapp, Faustregel: eine Information pro Message. Der Datendurchsatz ist unerreicht, Gerüchte fahren auf der Datenautobahn stur linke Spur, man legt das Gerät nicht für fünf Minuten aus der Hand, denn dann fällt man aus dem Datenstrom und muss mit Bärenkräften gegen ihn rudern, um wieder aufzuholen mit dem Lesen der Nachrichten und schließlich wieder auf der Welle zu surfen. Ein Siegeszug der Information.

Zumindest dann, wenn die Gedanken frei sind und die Kommunikation keinem erkennbaren Ziel dient. Manchmal jedoch überkommt die gewiefte Lehrkraft die Idee, diese Standleitung des Informationsflusses für pädagogische oder zumindest organisatorische Zwecke auszunutzen: Man möge sich doch untereinander absprechen, wer gemeinsam eine Frühstücksgruppe am letzten Schultag bildet und welches Mitglied der Gruppe für welchen Brotaufstrich sorgt. Sprachs und lässt sorglos eine Woche verstreichen, blickt aber in der nächsten Klassenstunde auf roboterhafte Gesichter und zuckende Schultern. Was ist geschehen, was hat den Datenabfall verursacht, wo sitzt der Lag? Mit der scheinbar einfachen Aufforderung hat man ein zu dickes Datenpaket in die Leitung gestopft, das vom System leider nicht bearbeitet werden kann. Auch die Verbreitung einer simplen Information an alle Angehörigen der Klasse stellt die Digital Natives offenbar vor unlösbare Probleme: Natürlich sollte man die Ansage in eine E-Mail hacken und sie der Lerngruppe iservieren, auf dass jeder sie lese, aber diese Plattform ist trotz der wiederholten Aufforderung, mindestens einmal am Tag hineinzuschauen, immer noch nicht der heiße Scheiß unter den Social Media. Manchmal wünscht man sich fast die gute alte Telefonkette zurück, die dauerte zwar, aber sie funktionierte.

Bedauernswert sind ja auch die Schülerinnen und Schüler, die krankheitsbedingt nicht den Unterricht besuchen können, oftmals über mehrere Tage hinweg. Unabhängig von der Art des körperlichen Gebrechens wird dabei nicht nur die interne Festplatte beschädigt, wenn nicht gar teilformatiert, nein, es treffen auch während der gesamten Krankheitsdauer sowie der Rekonvaleszenz keinerlei neue Informationen ein. Angehörige der Oberstufe versichern zwar brav in der E-Mail zur Abmeldung: „Den versäumten Stoff werde ich selbstverständlich nacharbeiten.“ Aber auch hier scheint jemand auf der Datenleitung zu stehen. Einer der wenigen Aspekte, wegen derer ich Grundschullehrkräfte beneide: Kranke Kinder bekommen eine „Gute Besserung“-Mappe mit allen Aufgaben des Tages von einem Mitschüler oder einer Mitschülerin nach Hause gebracht – und wenn sie am nächsten Tag noch nicht wieder genesen sind, einfach nochmal! Schnief!

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Wer nun aber glaubt, Kinder, die während des Schulvormittags ihrer digitalen Möglichkeiten beraubt sind, würden eine besondere Fähigkeit zum analogen mündlichen Informationsaustausch entwickeln wie ein Blinder, dessen Gehör sich mangels visuellen Inputs schärft, der irrt leider. Gerade durfte ich in der Ergebnisaustauschphase einer Gruppenarbeit im 12. Jahrgang wieder vier junge Menschen besichtigen, die am selben Tisch saßen, an den sie aus verschiedenen Arbeitsgruppen gekommen waren, und sich absolut nichts zu sagen hatten. Ins Leere starrend, verharrten sie wie Androiden, denen man den Stecker gezogen hat, über ihren Arbeitsmaterialien, Mehrere (!) Impulse waren nötig, um ihnen zumindest so etwas wie ein paar Wortfetzen abzunötigen. Vielleicht hätte ich ihnen die Möglichkeit geben sollen, die Ergebnisse in eine Wha... äh... IServ-Gruppe zu stellen, zu teilen, zu kommentieren, zu liken. Die wären sicher viral gegangen.