„Die drei ; ; ; und der schaurige Satzbau“ (Folge 129)

Ich bin nicht Team „Alles Mist!“. Sondern Team Optimist. Mir ist vollkommen klar, dass ich von früh bis spät in den vielstimmigen Chor der Verzweifelten einsteigen und textsicher mitheulen könnte. Trotzdem tue ich das selten. Aber ich verspüre das Bedürfnis bei vielen und bringe dafür Verständnis auf. Und manchmal lasse ich mich auch auf eine Soloarie ein. Keine Sorge, nur eine Episode lang, danach heißt es wieder: „Learning Positivity! Yay!“

Worüber ich verzweifelt bin, ist dann auch keine geringe Sache. Sicher, sie ist gering, verglichen mit Massenschlägereien, Drogenhandel, Absentismus oder Mobbing. Und jeder, der mich aufgrund des folgenden Sermons für einen abgehobenen Fachidioten halten will – bittesehr, bedient euch!

Aber auf einer anderen, sehr grundlegenden Ebene ist dieses Problem schlimmer. Das hier geht raus an alle Deutschkolleg*innen. I feel you. Beziehungsweise: Ich fühle euch.

Schreiben gehört völlig zu Recht zu den drei allergrundlegendsten Basiskompetenzen, die man im System Schule so erwerben kann. Das ist praktisch die Grube, die man aushebt, noch bevor das Fundament gegossen wird. Wer pfiffig ist, bekommt auch schon in den ersten vier Jahren mit, dass es bestimmte Regeln gibt, wie die Grundeinheiten des Schreibens, die Sätze, aufgebaut sein dürfen: Dass es Haupt- und Nebensätze gibt (die man, vermutlich um die verbotene Abkürzung zu umschiffen, auch als Gliedsätze bezeichnet, ein Wort, das wiederum ich aus Angst um meinen seriösen Unterricht niemals verwende) und dass man sich an bestimmte Wortreihenfolgen muss halten.

Bei einigen aber regt sich alsbald Widerstand: Warum soll ich auf die eine Art sprechen und auf die andere Art schreiben? Ist nicht alles eins? Gesagt, vermurkst: Die schlimmsten Vertreter*innen dieser Szene bringen ungefiltert jedes Wort, das sie denken, direkt aufs Papier und verzichten komplett auf störendes Beiwerk wie Punkte oder Kommas (jaja, ich weiß, KommaTA! Komma klar!), praktisch Sprache in Reinform, das pure Texterlebnis! Wer interpunktiert, verliert, das wussten schon die alten Römer, die in dieser Kunstform next level waren und sogar noch auf Groß- und Kleinschreibung (hm, jetzt hab ich Kleinschreibung groß geschrieben…besser nicht drüber nachdenken!) und Wortgrenzen verzichteten.

VIELLEICHTSOLLTEMRHODASAUCHMALAUSPROBIEREN? Oha, besser nicht.

Natürlich ist das für viele kein launiger Spaß, sondern eine ernstzunehmende Lese-Rechtschreibschwäche und deshalb verbietet sich allzu enthusiastisches Geißeln von selbst.

Es gibt da aber auch noch die anderen Knallchargen, die im Grunde ein solides Schreibhandwerk gelernt haben, sich dann in höheren Jahrgängen aber allmählich im Dickicht ihrer eigenen Gedanken verirren und nur noch in der Lage sind, stichpunktartig zu formulieren. Das bedeutet, dass da durchaus verständliche Gedanken auf dem Papier vorhanden sind, die jedoch wie ausgeschnitten und dann schlecht mit Tesafilm wieder zusammengeklebt erscheinen: Da kann der Nebensatz das Versprechen, das der Hauptsatz gab, niemals einlösen. Anakoluth nennt das der Fachmann, allerdings nur, wenn es als Kunstform gemeint ist (Kennt jemand noch Piet Klocke? Der hat das seinerzeit, aber was rede ich, Herrschaften, da könnte ja…). Das können wir bei unseren Amateurschreiberlingen wohl getrost ausschließen. An anderer Stelle versucht man dann durch möglichst seriös klingende, aber vollkommen ausgedachte Wörter Ausgleich zu schaffen, z.B. „trotzdessen“ oder „destoweiteren“. Seufz.

Bild Mr. HO 52kl.jpg

Wie kam es dazu? Sind moderne Klassenarbeiten, Tests oder Klausuren so komplex geworden, dass für eine gründliche Endkontrolle – lies dir deinen eigenen Kram nochmal durch, bevor du ihn auf dem Lehrerpult ablädst – einfach die Zeit fehlt? Ich denke nicht. Als Sündenbock dient nicht der Zeitmangel, sondern, wie immer, der Zeitgeist, der da lautet:  Eintippen und ab dafür! Was kümmert mich mein Geschreibsel von vor fünf Minuten? In der Messengernachricht zumindest entschuldbar, in der Facharbeit – schwierig.

Soll man nun komplett auf Nebensätze verzichten, wie es dem politisch ambitionierten Androiden John Of Us vor einer Rede vor dem Volk von seinen Beratern nahegelegt wird?* Ich hatte vor dem Schreiben dieses Artikels den Impuls, genau das tatsächlich zu tun – aber ich konnte nicht! Das wäre so, als wollte man einem Pianisten verbieten, die schwarzen Tasten zu benutzen (Ach, ich sensible Künsterseele!).

Hut ab also vor allen, die tagtäglich zusammen mit ihren Schützlingen diese Wanderbaustelle beackern: Bleibt am Ball! Ihr seid die letzte Bastion vor dem Abgrund des Kulturpessimismus.

* Kling, Marc-Uwe: Qualityland.