„Gib dich nicht auf – gib Hausaufgaben auf!“ (Folge 131)

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So langsam müssen jetzt auch mal die heißen Eisen angepackt werden, vor denen sich der feine Herr Feuilletonist bisher gedrückt hat. Denn wer zum Thema Schulwesen schon beinahe jeden Stein umgedreht hat, der muss früher oder später bei einem sehr schweren ankommen. Auf diesem steht in Rot geschrieben: „Aufgabe zu Donnerstag“. Richtig, es ist der Hausaufgabenstein. Zugegeben, zu dem Thema haben sich die Mitglieder*innen der pädagogischen Zunft schon seit Äonen die Finger wund geschrieben – was also wäre dem noch hinzuzufügen?

Der Grundgedanke ist simpel: Vormittags lernst du ein bestimmtes Phänomen neu kennen, durchdringst und verstehst es im Idealfall komplett, tauschst dich darüber mit Lehrpersonal und Mitschüler*innen aus – und bearbeitest dann am Nachmittag dazu passende Aufgaben, die dafür sorgen, dass der Denkstoff vom Vormittag nicht so schnell wieder ins geistige Nirvana entfleucht, sondern sich zu anwendbarer Kompetenz verfestigt. Die IGS-Version dieses Gedankens ist nur leicht verändert: Bearbeite die Folgeaufgaben nicht am Nachmittag, sondern in einer anderen Vormittagsstunde, die nicht dein Fachunterricht ist. So weit, so – sinnvoll?

Wer Kinder im Grundschulalter hat, gerät ins Zweifeln, was die Sinnhaftigkeit angeht, denn es wird offenbar erwartet, dass man den Kleinen bei den Hausaufgaben hilft! Ob nun explizit auf dem Elternabend ausgesprochen oder schulterzuckend vorausgesetzt – man geht wohl davon aus, dass Grundschüler*innen eben nicht selbständig in der Lage sind, diese Aufgaben zu bearbeiten. Das zieht sich in einigen Elternhäusern dann teilweise bis in die achte Klasse durch und endet mit dem verzweifelten Seufzen am Elternsprechtag, man könne dem Nachwuchs einfach nicht mehr helfen, weil die Inhalte zu schwierig werden und man habe ja selber damals auch nur den Hauptschulab…Schluss! Wenn Schüler*innen regelmäßig an Hausaufgaben scheitern, ist irgendetwas gewaltig faul. Dass sie dennoch selbstverständlich aufgegeben werden, ist Ausdruck des deutschen Beamtenspirits: „Das gehört eben so dazu, das haben wir schon immer so gemacht!“ Eine Fassade, die von beiden Seiten aufrecht erhalten wird, um den Schein der Ordnung zu wahren – denn mal ehrlich: Für manche Schüler*innen werden Hausaufgaben nicht gemacht, sondern gemanagt. Es gibt immer einen, der sie selbst anfertigt und für 1:1-Kopien morgens im Schulbus zur Verfügung steht. Und wer selbst das verdaddelt hat, setzt auf das Pokerface und die Meldestrategie: Den Arm immer eine Zehntelsekunde später heben als die Person, die damit garantiert drangenommen wird. Oder während der Hausaufgabenbesprechungsphase die Toilette aufsuchen, wie mir ein Insider verraten hat. Manche Pädagog*innen verlosen bei Klassenspielen Gutscheine für „einmal hausaufgabenfrei“: Nichts könnte deutlicher darüber Auskunft geben, dass man diese Aufgaben in Wahrheit als reine Schikane sieht, nicht als sinnvolle Ergänzung des Unterrichts. Andere haben schon aufgegeben, etwas aufzugeben.

Soweit der Stammtisch. Aber was hat die ernsthafte Forschung dem noch hinzuzufügen? Antwort: Alles, was man möchte – jede Meinung findet eine Studie, die sie ernstnimmt. John Hattie etwa bescheinigt den häuslichen Aufgaben eine Effektstärke von 0,29 und damit so in etwa den Nährwert von Weißbrot – die Vollkornbrötchen tummeln sich im Bereich 0,7 bis 1,0! Genauso gibt es Studien, die die Wirksamkeit von Hausaufgaben zumindest nahelegen, etwa die einer spanischen Universität aus dem Jahr 2015. Interessant ist hier aber die Feststellung, dass weniger die Inhalte der Aufgaben wichtig sind als vielmehr das gezielte alleinige Auseinandersetzen mit einem Problem über eine längere Zeit, damit sich so etwas wie Selbstdisziplin und Selbständigkeit ausbildet. Also: Landeerlaubnis für alle Helikoptereltern verweigert, bitte abschwirren! Denn wir sind bei der Quintessenz des Lernens angekommen, die bitte nicht mit irgendwelchen gutgemeinten Ratschlägen verwässert wird: Lerne, es selbst auf die Reihe zu kriegen, was auch immer es ist. Nimm dir Zeit dafür und ziehe alle Register, die du hast. Zieh den Stecker am Router und schalte den Flugmodus ein: Du wirst nicht eher ruhen, bis du diese Aufgabe erledigt hast – und zwar allein! Und dann ist es fast egal, ob du Tonleitern, Gleichungssysteme oder passive voice vor dir hast.

Ich hoffe, ihr nehmt euch das zu Herzen. Ich prüfe das nach – nächsten Donnerstag!

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