„Audienz bei Ihro Hochwohlgesprochen“ (Folge 136)

„Der Autor will so rüberbringen, dass Medea sauer auf Jason ist.“ Dieser Satz ist inhaltlich korrekt. Trotzdem wird bei seiner Korrektur viel rote Tinte für Schlangenlinien, Ausrufezeichen oder kleine weinende Smileys verbraucht, denn: Umgangssprache! Unpassende Formulierung! Nicht fachsprachlich!

Ja, was denn? Ist doch richtig? Stellen Sie sich mal nicht so an! Nanana - schon wieder Umgangssprache! Aber die Frage ist berechtigt: Wieso bestehen wir Lehrkräfte auf dem Gebrauch einer gehobenen Sprache, die auch die korrekten Fachtermini beinhaltet? Das ist ja schon fast eine rhetorische Frage, den Elfmeter kann ich eben schnell verwandeln: Schule bereitet aufs Berufsleben vor (Beleg erforderlich) und dort erwartet man, dass die Neueinsteiger*innen im jeweiligen Fachjargon parlieren können, schließlich muss man mit anderen Vertreter*innen des gleichen Fachs kommunizieren und dabei wissen, worüber man gerade spricht. Zweitens geht mit gehobener Sprache eine gewisse Kultiviertheit einher, denn man möchte sich ja nicht dem öffentlichen Spott preisgeben, wenn man wie früher Bill & Ted auf die Frage: „Wünschen die Herren noch etwas zu trinken?“ entgegnet: „Volle Kanne, Hoschi!“ Sorry, das ist meine Jugend, ich kenne kein aktuelles Pendant.

Bild Mr. HO 134kl

Damit könnte die Kolumne für heute beendet sein, aber es gibt ja wie immer zwei Seiten und das hier ist die zweite: Gehobene Sprache ist vortrefflich dazu geeignet, Inkompetenz und Unwissen zu verschleiern. Ich kann mich an ein Erlebnis als Schüler der 6. Klasse erinnern, als ich - Schlauberger, der ich war - bei der Beschreibung eines Wetterdiagramms zu der ungewöhnlichen Formulierung „Im Oktober hat der Regen Hochkonjunktur“ griff. Ohne genau zu wissen, was Hochkonjunktur eigentlich bedeutet, aber es musste irgendetwas mit reichlich Vorhandensein zu tun haben, soviel war klar. Wie auch immer, ich kam nicht dazu, meine Analyse vorzulesen - dafür tat es mein Sitznachbar in einem Versuch, die Lorbeeren einzuheimsen: „Man muss aber noch die Hochkonjunktur bedenken!“ Was soll ich sagen - Stirnrunzeln allerorten. Und das ist nur eines von multiplen, nein, vielen Beispielen, in denen sich jemand mit Fachsprache so sehr aufbläht, dass man die Inkompetenz kaum noch erahnt. Und mal ehrlich - geht es nicht auch mit einfachen Worten? War es nicht - wie immer - Albert Einstein, der nimmermüde Quell der Weisheit, der neben seinem gut laufenden Job als Kalenderspruchfabrikant noch Zeit für ein wenig Physik fand: „Wenn du eine Sache nicht einfach erklären kannst, dann hast du sie nicht gut genug verstanden.“ Aber ja, Mr. Einstein, dachte ich während meiner Lehrerausbildung das eine oder andere Mal, ich habe durchaus verstanden! Integralrechnung zu erklären muss doch auch mit einer Sprache funktionieren, die die Füße auf den Tisch legt und beim Überholen nicht klingelt! Und den Beweis werde ich für die nächsten dreißig Jahre antreten!

Und nun, schon 14 Jahre später, muss ich mir eingestehen, dass ich mir diesen Spruch wohl ein wenig zu dick ins Stammbuch geschrieben habe. Vielleicht ist es mir wirklich einmal herausgerutscht, dass ich Cicero für einen „Angeber“ halte und „der Graph da nach oben abhaut“. Und ja, Rechenergebnisse kommen heraus, nicht einfach nur raus, aber ein bisschen Schwund ist ja immer. Aber nun muss ich doch ein wenig zurückrudern, weil ich genervt bin von Königen, denen ihr Volk nicht EGAL ist und die ÜBER IHREN EIGENEN SCHATTEN SPRINGEN, weil sie ECHT mutig RÜBERKOMMEN wollen. Und was ist eigentlich dieses nicht fassbare, dimensionslose ES? ES ist kollinear, ES erfüllt die KNG-Kongruenz, ES nähert sich dem Grenzwert an, ES ist eine Klimax – ES ist fürchterlich!

Okay, folgender Vorschlag zur Güte: Sprechen ist das Eine, Schreiben das Andere. Wenn wir das Eine im Unterricht wollen – um der lockeren Atmosphäre, der Beteiligungsförderung oder der allgemeinen Niedrigschwelligkeit willen – dann müssen wir das Andere trainieren! Schreibe so, dass deine Sätze jederzeit Grundlage eines allgemein akzeptierten Fachbuchs sein könnten, auch wenn du gerne redest, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Du brauchst kein Blatt vor den Mund zu nehmen – aber wenn du etwas darauf niederschreibst, dann etwas Lesenswürdiges. Denke daran: Das Auge liest mit!

Klar? Ich meine: D’accord?