In Memoriam an einen ungewöhnlichen jungen Menschen

Niels Saathoff ✲02.12.2008 – 26.05.2025✝

(BS) Nach Tagen der übergroßen Trauer und Anteilnahme, auf der Suche nach Trost für mich und Andere, möchte ich nun versuchen, in Worte zu fassen, wer Niels Saathoff für mich war.

Ich hatte das Privileg, Niels´ Klassenlehrer zu sein und ihn ein Stück seines Weges begleiten zu dürfen. Des Weges, von einem beeindruckenden Jungen zu einem ohne Zweifel noch beeindruckenderen Mann, der nun so jäh aus unserer Mitte gerissen wurde.

Wenn ich an Niels denke, kommt mir immer wieder ein Wort in den Kopf, obwohl ich es bestimmt schon Jahrzehnte nicht mehr gehört habe: Goldjunge.

Und das sicherlich nicht nur aufgrund seiner weit leuchtenden blonden Haarpracht, die in luftigen Höhen aus jeder Menschenmenge hervorstach. Wo er anwesend war, konnte man die Menschen lachen sehen, so ansteckend war seine Fröhlichkeit. Er hatte eine so positive Art zu eigen, ich kann ihn mir nur mit seinem breiten Grinsen vor mein inneres Auge rufen, der Zahnspange, die er dabei präsentierte, offen und ohne übergroße Scheu, wie es seinem Wesen entsprach. Es drängen sich dabei nach wie vor Tränen in meine Augen und doch auch gleichzeitig Dankbarkeit und Glück in meinen Blick. Halb verschüttet unter all dem Leid und der Dunkelheit in mir, aber ohne jeden Zweifel und für alle Zeit da, ist das Glück, ihn gekannt zu haben und an seinem Vorbild zu wachsen.

Niels hat gegeben, wann immer er konnte, und nur dann genommen, wenn niemand deswegen verlieren musste.

Ich möchte hoffen und bin überzeugt, dass Jeder, der das Glück hatte, Niels zu kennen, seinen Geist in jeder guten Tat, von heute bis an unser Ende, forttragen wird. Die Aufmerksamkeit für seine Mitmenschen, die Umsicht für die Probleme Anderer, der respektvolle Umgang und der wache Verstand, auch die Schlitzohrigkeit, die doch niemals verletzend war. Eine Geschichte, die wir uns in den letzten Tagen häufiger erzählt haben mit tränenfeuchtem Lächeln, berichtet davon, wie seine Freunde auf dem unerlaubten Gang zur Bäckerei erwischt wurden und Hofdienst ableisten mussten, nur Niels nicht. Er war in der Schule geblieben und wir lobten ihn für seine Vorbildlichkeit. Zurecht, wenn auch der Grund zwar durchaus seinem Pflichtbewusstsein zu verdanken war, aber dann eben doch nochmal ganz anders, als vermutet: Er hatte schlicht seine Hausaufgaben vergessen und musste diese nun gerade in jener Pause unbedingt nachholen. In seiner unverwechselbar gutmütigen Art hat er sich ehrlich gefreut über seinen Dusel und die Jungs für einen kurzen Moment damit aufgezogen. Und dann den Hofdienst mit ihnen gemeinsam ertragen, freiwillig, denn so war Niels. Ein Junge mit einem goldenen Herzen.   Dieses Strahlen, das von ihm ausging und das in seiner Unschuld trotz der gefühlt zwei Meter Körpergröße bei mir immer wieder den Eindruck eines schlaksigen Welpen hinterließ, der neugierig aus großen Augen in die Welt blickt und jede Gelegenheit zum Lernen Willkommen heißt.

Dieses Strahlen hat uns als Niels´ Klasse dazu veranlasst, den Andachtsraum in unserer Schule, den die Kinder als Teil der Verarbeitung durch ihre Erinnerungen und Emotionen wundervoll für Niels´ Gedenken hergerichtet haben, mit einer Sonne als zentralem Symbol zu versehen, die langen Strahlen beschrieben mit unzähligen Anekdoten, Eindrücken, Gedanken an Niels. In ihrer Mitte steht ein Bild von ihm, in dem Versuch, noch ein wenig von seinem letzten Licht einfangen zu können, um dann, irgendwann, die Wärme, die er in uns hinterlassen hat, hinauszutragen in die kalte Welt. Den ganzen Tag kommen die Kinder, alleine oder in kleinen Gruppen, und sitzen schweigend lange da. Sie erinnern sich an ihren Freund, ihren Mitschüler, den großen Jungen, der immer so freundlich war, den ohne Ausnahme jeder mochte, jeder mögen musste. Man konnte nicht anders. Seine Neugierde und seine Begeisterung, seine Gutherzigkeit und seine Hilfsbereitschaft waren allgegenwärtig wo er war, was immer er tat.

Einen ganz persönlichen Schatz habe ich in der Erinnerung an sein Praktikum Anfang des Schuljahres. Ich war zu meiner großen Freude seine betreuende Lehrkraft und habe, wie schon viele Male zuvor, Kontakt zu dem Betrieb gehalten. In meiner gesamten Laufbahn – und die Erkenntnis kommt mir nicht erst rückblickend, ich erinnere mich genau, es war mein erster Gedanke nach dem Telefonat mit einem begeisterten Ausbildungsleiter: In meiner gesamten Laufbahn, übervoll mit den großartigsten jungen Menschen die man sich nur vorstellen kann, habe ich noch nie zuvor jemanden derart überschwänglich und ohne jeglichen Zweifel von einem Praktikanten schwärmen hören. Sie wollten ihn am liebsten gar nicht wieder hergeben. Haben ihm einen Ausbildungsvertrag in die Hand gedrückt, welchen er, wann immer er wolle, unterschrieben zurückbringen könne, ein Blankocheck, auf seinen Verstand und Charakter ausgestellt. „Von der Sorte hätten wir gerne noch Zehn,“ ich hab es noch genau im Ohr. Die Begeisterung für einen außergewöhnlichen jungen Mann, die ich nur zu gut verstehe und über alle Maßen teile.

Niels war ohne jeden Zweifel außergewöhnlich.

Nicht alle seine Freunde und Mitschüler*innen konnten diese Woche schon wieder zur Schule kommen oder manchmal auch nur aus dem Bett aufstehen. Die Trauer und der Schmerz halten uns nach wie vor gefangen und das Unverständnis ist groß, über die Lücke, die so unvermittelt vor uns aufklafft. Aber auch um ihnen zu begegnen, gibt Niels uns ein Vorbild. Als er zu uns kam, war er verunsichert und hatte einen Teil seines Glücks verloren, so glaubte er. Doch es war nur verschüttet und in seiner offenherzigen und unermüdlichen Art hat er wieder zu sich und in unsere Mitte gefunden. Mit ebenso offenem Herzen und unermüdlicher Wärme wollen wir ihn dortbehalten, ihm gedenken. Ich bin mir absolut sicher, Niels hätte niemals gewollt, dass Bitterkeit und Verunsicherung, so verständlich sie auch sein mögen, uns davon abhalten können, unser Glück zu finden. Ein neues Glück vielleicht. Doch für immer auch von ihm durchdrungen.

Ich schreibe diese Worte an Christi Himmelfahrt, ein Gedanke, der Manchen Trost zu spenden vermag. Aber vor meinem Fenster ertönt dann und wann statt stiller Einkehr auch lautes Leben, wie Niels es zu feiern geliebt hat. Es ist auch Vatertag. Meine Gedanken, meine Wünsche und Hoffnungen sind mit jedem Wort das ich schreibe auch und vor allem auf Niels´ Familie gerichtet. In größter Anteilnahme sprechen wir alle Ihnen unser unendliches Beileid aus. Niels Leben war für jeden spürbar von dem Licht Ihrer Liebe erfüllt, nach Ihrem Vorbild hat er auf eine Weise gedacht und gehandelt, die sich in unseren Herzen verewigt hat. Wir alle waren privilegiert in dem Glück, Ihren Sohn zu einem Teil unseres Lebens gemacht haben zu können. Wir werden uns redlich bemühen, Niels fortbestehen zu lassen in jedem freundlichen Gedanken und in jeder guten Tat, die seine Freude und Wärme, sein Strahlen für immer bezeugen werden und für ihn in die Welt hinaustragen.

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