Von Schmerzen und Wundern

Autorenlesung von Adrian Mills am 10.11.22

(HO) Das Forum der IGS Aurich ist ein Ort der Zusammenkunft vieler Menschen. Hier feiern die Schüler*innen des 9. und 10. Jahrgangs ihren Schulabschluss, hier tagt die Gesamtkonferenz zu den wichtigen Themen der Schule, hier werden diejenigen Lehrkräfte verabschiedet, die nach einem langen Dienstleben die Schule in Richtung Ruhestand verlassen.

Doch diesmal ist der Grund der Zusammenkunft ein anderer und die Stille, die sich einstellt, ist eine andere. Adrian Mills, ein ehemaliger Kollege, der 40 Jahre lang an unserer Schule unterrichtet hat, hat ein Buch mitgebracht, aus dem er vorlesen möchte. Es sind die Lebenserinnerungen von Laura Hillman, die als Hannelore Wolff 1923 in Aurich geboren ist. Eine Jüdin, deren Biographie atemlos macht und die das gesamte Spektrum der menschlichen Existenz zeigt, von den tiefsten Abgründen bis zu den größten Wundern.

Adrian Mills, der das Buch von Hillman ins Deutsche übersetzt hat, berichtet eine Stunde lang von den Stationen ihres Lebens, einer Odyssee in die Hölle, die sie von Aurich über Weimar bis in die polnischen Konzentrationslager führt. Sie wird von Mutter und Brüdern getrennt, verliert all ihr Hab und Gut und erlebt die Schrecken des Naziregimes am eigenen Leib. Eine Odyssee ohne Wiederkehr, würde man denken – schließlich landet Hannelore in Auschwitz-Birkenau, von dort gibt es doch kein Entkommen, oder?

Doch, und das ist das Tröstliche bei allem Schmerz, sie erfährt auch Wunder. Trifft ihren Geliebten wieder, den sie in einem der Lager kennengelernt und dann wieder aus den Augen verloren hatte. Kommt auf die berühmte Liste von Oskar Schindler und wird damit vor der Vernichtung bewahrt. Und darf schließlich ihre Befreiung durch russische Soldaten miterleben, die dem Albtraum ihres Lebens ein Ende setzen.

Das alles schildert Hannelore Wolff ebenso nüchtern wie präzise, sie braucht keine Dramatik, um den Leser ihre Verzweiflung, die zur Normalität wird, spüren zu lassen. Und Adrian Mills referiert in leisem Ton, so dass man den Atem anhalten möchte, um auch kein Wort zu verpassen. Die Bilder des Schreckens entstehen von alleine.

Erinnerungsarbeit ist keine leichte Aufgabe. Hannelore Wolff selbst zweifelte am Ende ihres Lebens, ob es richtig war, in ihrer Erinnerung zu graben und alles wieder hervorzuholen. Für sie selbst war es die Erinnerung an den tiefsten Schmerz, den man sich vorstellen kann. Für uns, die wir heute leben, ist es ein Glücksfall. Denn so dürfen wir teilhaben an einer Zeit, die in immer weitere Ferne rückt und die wir dennoch nie vergessen dürfen.

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