„Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.“
- Groucho Marx
„Die Schule sollte eine Vielfalt von Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler fördern und eine differenzierte und demokratische Meinungsbildung gewährleisten.“
So heißt es im Runderlass „Die Arbeit in den Schuljahrgängen 5 bis 10 der Integrierten Gesamtschule“ lapidar. Doch hier verbirgt sich eine der wichtigsten und gleichzeitig am schwersten zu vermittelnden Kompetenzen. Anders als der Satz von Bayes, die Photosynthese oder das present perfect, denn die sind per se richtig, weil isso. Das soll bitte jede/r genauso ins Merkheft schreiben, Pluralität ist unerwünscht.
So eine Meinung aber ist etwas sehr Individuelles (heißt ja schließlich Meinung und nicht Deinung), da möchte man es möglichst vermeiden, eine Mainstream-Meinung, praktisch eine Meinung von der Stange („Nehm‘ Se die hier: ‚Elektroautos sind gut fürs Klima‘, da ham wir noch reichlich von!) zu vermitteln. Also zumindest meistens nicht, denn so ein paar Allgemeinplätze, auf die sich alle einigen können, sind schon schick, oder? Dass Demokratie prinzipiell eine gute Idee ist (Klappe, Churchill!), wir respektvoll miteinander umgehen wollen (und wer da nicht mitmacht, kriegt aufs Maul!) oder kulturelle Teilhabe Bedingung eines gelingenden Lebens ist – wer wollte dem widersprechen? Man wandelt als Bildungsschaffende/r also auf dem schmalen Grat, in Schüler*innenköpfen das basisdemokratische Betriebssystem zu installieren (also wenigstens das MS-DOS: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu!“), ohne gleichzeitig zu viele nicht benötigte Apps und Testversionen („Hey du, glaube an Gott! Jetzt 30 Tage gratis ausprobieren!“) mit draufzupacken. Denn das ist die Crux: Wenn du es mit dem Holzhammer vermitteln musst, ist es ja keine selbständig erworbene Meinung mehr, sondern Nachgeplapper. Oder genau umgekehrt, wie es der pubertären Logik entspricht: Glaube einfach immer das Gegenteil von dem, was dein Lehrer sagt. Auch nicht wünschenswert. Ich erinnere mich als Schüler an eine Vertretungslehrerin in der 9. Klasse, die – warum auch immer – darüber schwadronierte, dass die Farbe Schwarz in der Natur als solche gar nicht vorkomme und deshalb jedes schwarz gefärbte Kleidungsstück etwas Künstliches und auch Giftiges sei. Ich wollte nie Schwarz tragen, aber da habe ich es ernsthaft in Erwägung gezogen.
Man muss also behutsam vorgehen und eher so etwas wie ein Meinungsangebot schaffen, gewissermaßen einen „Markt der Meinungsmöglichkeiten“, wo sich jeder (auch heimlich) bedienen kann und sich das aussuchen kann, was am ehesten ins eigene Weltbild passt. Denn glücklicherweise speist sich der persönliche Meinungskosmos aus zahlreichen Quellen, von denen die Schule immer nur eine sein kann. Und es gibt viele Meinungsköche – Elternhaus, Freundeskreis, ja sogar das Internet – die ihren Senf zum Meinungsbrei hinzugeben wollen und damit in der Regel auch Erfolg haben. Stichwort differenziert und demokratisch, siehe oben.
Aber wie geht das – essentiell zu einer gesellschaftlich akzeptierten, aber dennoch individuellen Meinung beitragen? Genaugenommen ist das gar nicht das Ziel – es geht darum, Werkzeuge zu vermitteln, wie man sich eine Meinung zu einem Thema bilden kann. Wie man Meinungen und Fakten auseinanderhält und sie nicht wie in dem grandiosen Animationsfilm „Alles steht Kopf“ einfach in dieselbe Gedächtniskiste schüttet. Wie man Meinungen und Hass auseinanderhält, eine Frage, auf die Comedian Till Reiners eine wunderbare Antwort gefunden hat: „Wenn du deinem Gegenüber die Chance gibst, dir Recht zu geben, dann ist es eine Meinung.“ Dass man sich den Luxus leisten darf, zu manchen Themen auch keine Meinung zu haben. Und nicht zuletzt: Wie man andere Meinungen aushält, ohne den Menschen dahinter zu verachten. Vielleicht die wichtigste von allen. Das ist zumindest meine Meinung.