Und es begab sich, dass ein Reisender kam in die Stadt und alle umdrängten ihn und wollten hören seine Berichte aus der weiten Welt. Und er sprach zu ihnen: „Kommt nur her und setzt euch, ich will euch sagen, wie man’s anderswo hält!“ Die Menge ließ sich um ihn nieder und lauschte andächtig.
„Es gibt“, hob er an, „ein fernes Land, wo die Menschen nicht Gold noch Silber oder rötliches Kupfer für wertvoll halten. Der Besitz gilt ihnen nichts, nein, sie sehen ein anderes Gut als ihr höchstes an.“
Die Ungeduldigen unter den Leuten aber riefen: „So sprich doch zu uns und sage es frei heraus! Denn ohne deine Worte können wir nicht klug werden!“
Der Reisende aber sprach: „Du hättest deine Worte nicht feiner wählen können. Denn zeugen sie auch von deiner Ungeduld, so nimmst du mir gerade die Worte aus dem Mund, die ich sagen wollte. Denn siehe! Hier ist Weisheit: Unter den Menschen des fernen Landes gilt als Größtes das gesprochene Wort.“
Da erhob sich Unmut unter den Zuhörenden und es waren Männer da, die schimpften: „Was für Dummheiten sagst du da! Niemand stellt das Wort über Gold und Silber. Wer könnte wohl so töricht sein?“
Der Reise aber hob die Arme: „Habt Geduld, ich will’s euch wohl sagen.“ Und er sprach:
„Jeder dort in diesem fernen Land ist Schüler und jeder ist Lehrer. Dort berichtet man einander, wenn eine Gruppe eine Reise macht, auf dass keiner da sei, der sie vermisse. Dort erfährt jeder zur rechten Zeit, welcher Gruppe er zugeordnet sei, auf dass niemand heimatlos umherirre und von Gerüchten leben müsse. Und wer einen Plan macht, der teilt ihn mit allen, auf dass aus allen Mündern eine Wahrheit erklingt und nicht viele. Und wer weiß, wie mit einem Schüler richtig umzugehen ist, der erzählt allen davon, die es betrifft, auf dass alle von seiner Weisheit profitieren und ihrerseits richtig umgehen mit dem Schüler.
Und jeder weiß, wer gerade nicht bei seinen Schülern sein kann und der wird nicht vermisst werden. Und wenn da ein neuer Schüler antritt, dann kennen alle seinen Namen und grüßen ihn und heißen ihn willkommen. Und wenn einer seine Lerngruppe für einen Besuch braucht, so spricht er’s aus und alle Schüler werden dort sein, wo er sie braucht. Und wer eine neue Gruppe gründet, dem sagt man, wen er dort begrüßen darf. Und die Leiter verschiedener Gruppen schweigen sich nicht an, sondern sie teilen jegliches Wissen, das sie haben, miteinander.“
Als er aber geendet hatte, da kam eine große Stille über die Menschen und sie schämten sich.
Der Reisende aber fragte: „Warum schweigt ihr?“ Da sprach eine Frau aus der Mitte der Menschen: „Wir schweigen, weil wir dumm waren, nicht zu erkennen, dass das Wort mehr wert ist als alles Metall und Gestein der Welt.“
Doch einige waren noch nicht zufrieden. Sie schalten den Reisenden: „Was verlangst du von uns? Wir sind zu viele, unsere Worte reichen nicht aus für alle! Wir werden nur noch Sprechende sein, keine Handelnden mehr, wenn wir deinen Worten folgen!“
Der Reisende aber sprach lachend: „Ich verlange doch nichts von euch. Habt ihr mich nicht bekniet, euch zu berichten? Und habe ich nicht genau das getan? Der Wunsch, zu sein wie die Menschen in diesem fernen Land, ist in euch selbst gewachsen.“
„Wie aber können wir den Wunsch erfüllen?“, fragten die Leute wieder.
Der Reisende entgegnete: „Die Menschen in diesem Land benutzen nicht viele Worte, aber sie wählen ihre Worte sorgsam. Sie schätzen die Worte des anderen und hören einander zu. Sie respektieren einander, selbst wenn sie einander gram sind. Denn sie wissen: Da wo Stille herrscht, kann kein Wissen gedeihen.“
„Zeig uns das Land!“, forderte die Menge, „führe uns dorthin! Wir wollen es mit eigenen Augen sehen!“
Ein letztes Mal hob der Reisende an: „Das Land, von dem ich spreche, ist dieses Land, in dem ihr lebt. Die Menschen, von denen ich spreche, das seid ihr. Ihr habt nur vergessen, was wirklich wichtig ist. Einmal wusstet ihr es. Und jetzt wisst ihr es wieder.“