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Zwanzig Schüler*innen geben ihr Smartphone vor der Klausur beim Lehrer ab. Dieser macht sich einen Spaß daraus, nach überstandener Leistungsüberprüfung blind in die Handykiste zu greifen und den unter Entzug stehenden Oberstufler*innen einfach zufällig irgendeines der darin befindlichen zwanzig Geräte auszuhändigen. So weit, so irrelevant. Nun die Frage: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass genau ein Schüler nicht sein eigenes Handy bekommt? (Achtung, wer den Spoiler vermeiden will, erstmal nicht weiterlesen und stattdessen nachdenken!)

Auf den ersten Blick eine Aufgabe „zum Skippen“, wie es eine Schülerin einmal ausdrückte. Ja, man könnte ein Baumdiagramm zeichnen und alle Möglichkeiten berücksichtigen…aber zwanzig Personen…zu schwierig, dann lieber eine Weile gespielt angestrengt die Stirn runzeln und heimlich auf die Auflösung warten. Die da lautet: Null. Denn dieses Ereignis kann gar nicht eintreten (Wenn nur ein Schüler ein falsches Handy bekommt, wer hat dann seines?). Da regt sich Unmut, man fühlt sich auf Schülerseite ein wenig verschaukelt von dieser Aufgabe. Warum? Weil sie sich nicht so schön mit den üblichen Werkzeugen bearbeiten lässt? Weil sie laterales Denken erfordert? Oder weil der Lehrer es gewagt hat, seinen Kurs mal vor die pädagogische Wand laufen zu lassen? Wahrscheinlich etwas von allem.

Aber ganz gleich, wie boshaft die Lehrkraft veranlagt sein mag – diesen didaktischen Kniff hat sie ganz sicher nicht dem Index der verbotenen Methoden entnommen, im Gegenteil, er trägt sogar das Prädikat „Hilbert-Meyer-approved“. Das kam so:

In der Didaktik gleich welchen Faches tut man gut daran, erst einmal die leichte Kost zu servieren, die sich butterweich in das gelernte Schema einfügen lässt: Nachdem wir 70 Prozent von 150 Euro berechnet haben, versuchen wir uns an 30 Prozent von 320 Euro. Kannst du das present perfect von to work bilden, dann vielleicht auch von to wait. Adolf Hitler war ein faschistischer Diktator – werfen wir doch mal einen Blick auf Mussolini.

Aber das ist nur die erste Stufe der pädagogischen Rakete, die wir gezündet haben. Damit schafft man es gerademal in die Stratosphäre. Auf diesem Level ein Fach zu beherrschen kann man auch einem Laptop beibringen. Damit der Eagle landen kann (Seid ihr noch bei mir? Nicht verlaufen im Metapherndschungel! Ach Mist, schon wieder eine!), bedarf es nämlich noch der zweiten Stufe: Man stellt den Lernenden einen Klotz in den Weg, der sich zunächst einmal gegen alle Einordnung und Standardbehandlung sperrt. An dem man scheitern und verzweifeln kann. Waaas, bei quadratischen Gleichungen helfen keine Termumformungen? Von dem Verb sitzen lässt sich kein Passiv bilden? Kochsalz ist keine Molekularverbindung? Solche doofen Lehrer*inneneinfälle verlangen erstens von mir, dass ich meine gelernten Grundlagen auch ganz sicher beherrsche, und zweitens, dass ich meine Vorstellungen überprüfe, modifiziere, erweitere. Quadratische Gleichungen brauchen eine Ergänzung, damit man die Wurzel ziehen kann. Das Verb sitzen ist intransitiv, es hat kein Objekt, das man bei Passivbildung zum Subjekt machen könnte. Und beim Kochsalz liegt eine andere Art von Verbindung vor.

Dabei geht es gar nicht um genieartiges Blitztalent zur sofortigen Auflösung der Situation. Es geht um diesen Moment, wenn der Schüler stutzt, weil etwas nicht ins Konzept passt, wenn die Schülerin den Stift hinlegt: „Moment mal…!“ Diese Momente sollte man als Lehrender genießen – auch wenn das wohlwollende Lächeln auf der anderen Seite der Schulbank meist als Häme oder Schadenfreude missdeutet wird.

Die Methode selbst ist leider nicht dagegen gefeit zu scheitern, nämlich dann, wenn der enthaltene Widerspruch gar nicht erkannt wird. Wenn das absichtlich schlecht gehaltene Referat fast noch mit einem Lob davonkommt. Oder wenn fantasievolle grammatische Formen als alternative Fakten unreflektiert notiert werden. Dann richtet sich die didaktische Waffe gegen die Lehrkraft selbst, die nun ihrerseits mit einer ungewohnten Situation im Unterrichtsablauf umzugehen hat. Da heißt es Zähne zeigen und säuseln: „Wie schön, dass ich auch nochmal etwas lernen darf! Mist!!“

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