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Ich habe um mancher guten Entschuldigung willen gesündigt; darum wird mir verziehen werden.

- Karl Kraus

„Marie-Sophie konnte am 15.11.21 nicht zur Schule kommen, da sie Magen-Darm-Grippe mit heftigem Durchfall und Erbrechen hatte.“

Arme Marie-Sophie. Nicht nur wegen des Brechdurchfalls. Sondern auch deshalb, weil sie gerade neben mir stehen muss, während ich das lese und mitleidig lächelnd unterschreibe. Denn so lautet ein Beschluss, dass die kränkelnde Schülerschaft sich entschuldigen muss. Unter Angabe von Gründen, weshalb manche Eltern, geplagt vom schlechten Gewissen, ihrem Sprössling einen schulfreien Tag beschert zu haben, zu drastischen Formulierungen greifen: Hey, es klingt krass, also muss es wirklich gerechtfertigt sein, dass du zu Hause geblieben bist, Marie-Sophie! Aber das war leider way too much information und vor meinem geistigen Auge werde ich dich jetzt für die nächste halbe Stunde über deine Übungsaufgaben speien sehen. Das hast du nicht verdient. Also: Weniger Details führen trotzdem zu einer gewährten Entschuldigung. Mir ist nämlich kein Fall bekannt, in dem eine Lehrkraft den behandelnden Arzt konsultiert hätte, um sich bei diesem über den Schweregrad der Diarrhö zu erkundigen, um dann über die Bewilligung der Entschuldigung zu entscheiden.

Auch wenn es sich bei dieser Art von Schreiben prinzipiell nur um Ordnerfutter handelt, so hat die geneigte Lehrkraft es doch gerne, wenn das Elternhaus ihr die Unpässlichkeit des Nachwuchses in optisch ansprechender Form bescheinigt und nicht auf dem obersten Achtel (gerissen!) eines karierten Blockblatts. Aber größtenteils weiß man hier noch, was sich gehört.

Wie viel lässiger dagegen der Umgang in der Oberstufe: Hier versendet man die Abmeldungen digital und benutzt dabei schon gern wiederkehrende Textbausteine, aber Einzelheiten über Art oder Verlauf der Krankheit sucht die Lehrkraft – zum Glück – meist vergeblich. Dafür erhält man dann aber zuweilen Perlen der Entschuldigungsliteratur, z.B. „Ich kann wegen physischer Probleme nicht am Unterricht teilnehmen.“ Okay, ich hatte auch so meine Probleme mit der Physik, aber deswegen nicht in die Schule…?

Nicht hinnehmbar ist für mich aber die Nichtteilnahme „aus persönlichen Gründen“: Sicher, der Schüler möchte mir damit sagen, dass er Gründe hat, dem Unterricht fernzubleiben, die nicht gesundheitlicher Natur sind (weil er gestern Nacht zu lange am PC hing, seine Freundin Schluss gemacht hat, er durch die Führerscheinprüfung gerasselt ist? Hier wären Details dann doch wünschenswert!). Aber irgendwie klingt das ein bisschen nach „Ich komme nicht, weil mir deine Nase nicht passt.“ Nun ja, vielleicht liegt das an mir persönlich.

Hut ab übrigens vor den altgedienten Berufssemantikern unter den Pädagog*innen, die ein „ich entschuldige mich“ von Schülerseite noch immer mit der Retourkutsche „gut, dann muss ich es ja nicht mehr tun“ quittieren. Denn, das vergisst man ja oft, es handelt sich offiziell immer noch um eine Bitte um Entschuldigung, nicht um die selbige!

Unbedingt gewarnt werden muss vor dem Zusatz „versäumte Unterrichtsinhalte werde ich selbstverständlich selbständig nacharbeiten“ – in mindestens 80 Prozent der Fälle kann man auf dieses hehre Versprechen leider nichts geben. Schnell zu erkennen übrigens, wenn die betreffende Person am Anfang der Stunde gleich mal den Finger hebt: „Haben Sie das Blatt von letzter Stunde nochmal?“

Hier scheiden sich übrigens die Geister: Die einen sind der Meinung, wer krank ist, könne gar nicht zum selbständigen Nacharbeiten verpflichtet werden; die anderen sehen das pragmatisch: „Ist dein Zeigefinger kaputt? Nein? Dann kannst du ja tippen und umblättern!“

Letztens erreichte mich die Mitteilung „ich schaffe es heute nicht zum Unterricht“. Liebe Schüler*innen, bitte bewahrt mich vor derart ambivalenten Aussagen! Das kann vom nicht angesprungenen Auto bis zum Burnout so ziemlich alles sein! Zum Glück habe ich das nicht zu bewerten (sondern nur das, was mir im Unterricht begegnet). In diesem Sinne allen Krankenden ein dreifach „Gute Besserung“! Mehr davon gibt’s nur in der Whatsapp-Gruppe.

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