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Lehrkräfte sollen jungen Menschen ein Vorbild im Sozialverhalten und anderen erwünschten Eigenschaften wie Ordnung, Pünktlichkeit und Ehrgeiz sein.

Einspruch, euer Ehren! Dieser Satz steht nicht im niedersächsischen Schulgesetz! Dort heißt es nur trocken: „Sie [die Lehrkräfte, Anm. d. Autors] sind an Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Entscheidungen der Schulleiterin oder des Schulleiters oder der kollegialen Schulleitung, Beschlüsse des Schulvorstands, Beschlüsse der Konferenzen und deren Ausschüsse nach § 39 Abs. 1, Beschlüsse der Bildungsgangs- und Fachgruppen sowie an Anordnungen der Schulaufsicht gebunden.“

Korrekt, den obigen Satz habe ich mir tatsächlich gerade ausgedacht. Aber im Publikum keine Spur von Entrüstung, nicht wahr? Da haben wir es wohl wieder einmal mit einer gefühlten Wahrheit zu tun. Erlauben Sie, euer Ehren, dass ich das kurz ausführe?

Nun, früher (nicht euer Früher, eher mein Früher oder das meines Vaters) gab es den Lehrer, den Pastor und den Polizisten, die gemeinsam – nein, kein Kaspertheater, sondern die Troika der Ehrfurcht bildeten, also irgendwie geartete außerweltliche Wesen waren, die Allegorie des Anstands, zumindest keine Menschen. Sie alle wurden praktisch nur von Idealen, Sekundärtugenden und makelloser Kleidung zusammengehalten. Gespräche verstummten, wenn sie den Raum betraten, alle legten ein angestrengtes Lächeln auf, man vermied lautes Husten, der Respekt war mit Händen zu greifen.

Wie kam es zu dieser beispiellosen Überhöhung? Ganz einfach: Diese drei Alphatiere sind diejenigen, die immer alles richtig machen. Besonders der Lehrer und die Lehrerin sind stets ehrlich, couragiert, unterstützen soziale Projekte, kommen mit dem Fahrrad zur Schule, haben ein Ohr für die Schwachen und Unterdrückten und engagieren sich in ihrer Freizeit für die Gewerkschaft oder eine  Bürgerrechtsbewegung. Sie achten stets auf ihre Sprache und sagen nur Sachen wie „Scheibenkleister“, „Ach, du ahnst es nicht!“ oder „Du willst mich wohl veräppeln!“. Sie leben dermaßen nachhaltig, dass sie ihre Kleidung über Jahrzehnte tragen, immer noch dieselbe speckige Ledermappe benutzen und auch nur gebrauchte Musik hören. Und spätestens jetzt sollte jedem klar sein, dass wir uns heillos in der Klischeeschublade verfranzt haben. Wie kommen wir da nur wieder heraus? Ganz von selbst: Plötzlich, Jahre später, bekommt das Denkmal von einem Lebewesen einen Riss. Ohne Vorwarnung findet man sich unversehens neben ihm an der Käsetheke wieder! Was tut er hier, müsste er nicht wie immer in der Schule sein? Müssen Lehrkräfte etwa auch Essen zu sich nehmen? Das hieße ja…

Ist der Argwohn erst einmal erregt, finden sich schnell weitere Indizien dafür, dass wir es hier tatsächlich mit einem sterblichen Wesen zu tun haben: Herr Thomsen ist geschieden und jetzt in zweiter Ehe mit der Frau vom Schulamt verheiratet! Herr Kellermann raucht, und zwar nicht zu knapp! Und Herr Stolzenburg hat beim B-Jugend-Spiel seines Sohnes (er hat also auch noch ein Liebesleben!) ziemlich derbe geflucht, verdammt nochmal! Also das Denkmal hat nicht nur Risse, es wurde praktisch – frei nach Wir sind Helden – zertrümmert und von den schlechtesten Sprayern dieser Stadt mit Parolen beschmiert. Und warum auch nicht? Wer an einer IGS sozialisiert wurde – egal, ob als Schüler*in oder als Lehrer*in – weiß vielleicht gar nicht, wovon ich bis jetzt geredet habe, denn es gibt definitiv eine andere Herangehensweise an den Beruf als eine Blase aus Distanz um sich herum zu errichten: Zugewandtheit, Interesse, Menschlichkeit. Eigene Fehler eingestehen, vom eigenen Leben erzählen, Erfahrungen weitergeben, gemeinsam über ein Problem nachdenken, eigene Interessen thematisieren, Geschichten erzählen, Persönlichkeit zeigen. Das bedeutet natürlich, ein bisschen oder auch ein bisschen mehr von sich selbst preiszugeben. Vielleicht interpretiert das mancher als Schwäche. Aber bei den meisten ist die Verbindung hergestellt. Und die hält länger als angestrengter angstgetränkter Gehorsam. Ob das zum Vorbild taugt? Wenn nicht das, was sonst?

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