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"Mit jedem Tag, den ich älter werde, steigt die Anzahl der Personen, die mir den Buckel runterrutschen können." Das ist die jugendfreie Ausgabe der heutigen Monatslosung. Die Autorschaft ist umstritten, vermutet wird Hans-Joachim Kulenkampff, aber auch Albert Einstein ist möglich (der dient ja als Platzhalter für alle möglichen nicht zuteilbaren Kalendersprüche). Wer die Parole ausgegeben hat, ist aber auch völlig irrelevant, wohnt ihr doch eine tiefergehende Weisheit inne, deren Tragweite kaum zu unterschätzen ist.

Was ist jungen Menschen eines gewissen Alters, die zum Schulbesuch verpflichtet sind, generell wichtig? Freundschaften? Ja, auch. Ihre schulischen Leistungen? You wish. Nein, die meiste Energie wird auf das Aufrechterhalten des persönlichen Nimbus der Anerkennung verwendet, je nach Jahrzehnt als Coolness, Swag oder Lässigkeit bezeichnet, wobei die Semantik da schon auseinandergeht: Coolness oder Lässigkeit, das bedeutet in erster Linie Distanz und Zurückhaltung, nicht zu viele Emotionen und Verbindlichkeiten. Passives Anerkanntwerden gewissermaßen. Swag dagegen geht einen breitbeinigen Schritt weiter und will durch gezielte Aktivitäten für positive Aufmerksamkeit sorgen. Und da cooles oder…swaggermäßiges (da bin ich mir bei der Deklination nicht ganz sicher) Verhalten im Allgemeinen nicht mit der Muttermilch aufgesogen wird, braucht es äußerliche Unterstützung. Heißt: Hingebungsvolle Auswahl der Kleidung (Marke, Farbe, Schnitt, alles muss passen), Frisur, Sprechweise, Freizeitaktivitäten und und und. Dazugehören ist Ziel und Weg. Vermeidung von Ausgrenzung und Preisgabe der Lächerlichkeit. Und das bedeutet in erster Linie: Stress. Wenn es plötzlich nicht mehr egal ist, wo Muttern die Jeans für Junior kauft, ist das für alle Beteiligten noch erträglich (Hundert Euro? Das sind zweihundert Mark!!!) - wenn aber selbige Jeans nach drei Wochen nicht mehr angezogen wird, weil die Marke nicht mehr stimmt, wird der Konfliktherd angeworfen.
Aber es gibt auch die anderen: Einige entdecken ihren eigenen Style schon in Kindertagen und schlängeln sich bewusst am Mainstream vorbei, andere haben diese I-don’t care-Mentalität und ziehen stoisch ihr Ding durch, weil sie sich nicht auf dieses oberflächliche Spiel der Eitelkeiten einlassen wollen - oder weil sie charakterlich so gefestigt sind, dass sie niemandes Freund sein wollen, der sie nach der Herkunft ihrer Sneaker beurteilt.
Ich gehörte zu keiner der beiden Rebellengruppen, sondern bin brav mit dem Strom geschwommen, habe meine Kapuzenpullis gekauft und Chucks getragen. Wann und wie ich den sozialen Zwang dann überwunden habe, weiß ich nicht mehr – doch eines Morgens überkam mich die Erkenntnis: Ich war gerade dabei, meine Kinder im Fahrradanhänger zur Kinderkrippe zu bringen – bekleidet mit Leuchtweste, Regenhose und Fahrradhelm inklusive neongelbem Regenschutz! Also praktisch das volle Programm, das jeden Cringe-o-Meter sofort explodieren lässt! And I didn’t give a damn. Seltsam beschwingt radelte ich weiter schulwärts, vorbei an den armen Kreaturen, die, verdammt zum Frieren in ihren zerlöcherten Jeans, ohne Jacke im Regen standen. Ich fühlte mich frei – weil kein Mensch von einem Erwachsenen / Familienvater / Berufstätigen / (bitte eigenen Spießerbegriff einsetzen) erwartet, dass er sich cool verhält oder sich angesagt kleidet. Im Gegenteil: Wer es jetzt noch tut, setzt sich dem allgemeinen Spott aus! Ewiger Jugendlicher! Nicht umsonst wird der angehenden Lehrkraft in der Ausbildung nahegelegt, sich optisch von den zu Unterrichtenden abzugrenzen.

Und da erkannte ich, was wahre Coolness ist – nicht das So-tun-als-ob, nicht das krampfhafte Schwimmen mit dem Strom. Sondern so zu sein, wie man wirklich ist. Und auch so auszusehen. Und wem das nicht passt, der wende sich vertrauensvoll an Herrn Kulenkampff.

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